Mittwoch, 17. September 2014

Der Fall des Wladimir Jewtuschenkow

Die Verhaftung des russischen Milliardärs Wladimir Jewtuschenkow ist das Ende eine Ära. Dem 65jährigen wird vorgeworfen, bei der illegalen Übernahme eines Ölunternehmens in Baschkortistan (Baschneft) beteiligt gewesen zu sein, indem er die übereigneten Aktien in seine Holding AFK Sistema "gewaschen" hat. Initiiert wurde die kriminelle Übernahme laut Anklage von Ex-Baschneft-Chef Ural Rachimow, dem Sohn des ersten Präsidenten von Baschkortistan, Murtasa Rachimow.

Nun ist dieser Vorwurf nichts besonderes. Ähnliche Verfahren laufen in Russland hundertfach in jedem Jahr, wovon die Statistik der "ökonomischen Verbrecher" in russischen Gefängnissen zeugt. Auch geschieht es häufiger, dass Mitglieder der obersten Führungsschicht Russlands in Ungnade fallen - zuletzt traf es den ehemaligen Verteidigungsminister Serdjukow, der nach einem gigantischen Korruptionsskandal entlassen wurde. Dies wurde damals als Zeichen gewertet, dass Putin dabei ist, die schlimmsten Auswüchse der Korruption einzugrenzen.

Die Verhaftung von Jewtuschenkow fällt aber in eine andere Kategorie. Der Aufstieg des Milliardärs ist eng mit der politischen Karriere des ehemaligen Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow verknüpft. Der besonders in den 1990ern sehr mächtige Luschkow wurde bereits 2010 von Dmitri Medwedjew "abgesägt". Damit verlor Jewtuschenkow einen wichtigen Unterstützer. Aber die Oligarchen der Putin-Jahre haben dazugelernt und sichern sich inzwischen in alle möglichen Richtungen ab. Jewtuschenkow selbst betonte in einem Interview des Fernsehkanals TV Doschd, dass er viele gute Freunde auf vielen Seiten habe. Er war Putin gegenüber absolut loyal. Auch spielte er nicht das unter den Kollegen Jewtuschenkows beliebte und vom Kreml ungern gesehene Offshore-Spielchen: Während bspw. Michail Fridman (der zweitreichste Russe) seine russischen Unternehmen über ineinander verschachtelte Investment-Gesellschaften in vier verschiedenen Steueroasen betreibt, ist Jewtuschenkows Holding stets "dem Vaterland treu" geblieben.

Dass diese Strategie im Fall von Jewtuschenkow nicht aufging, wird die Wirtschaftselite in Russland erschrecken. Seit Chodorkowskij ist kein Oligarch ersten Ranges mehr zu Fall gebracht worden. Die kolportierte Übereinkunft zwischen den Milliardären und Putin - wir halten uns aus der Politik raus und du lässt uns wirtschaften - scheint gebrochen. Und das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt - die Verhaftung trifft das Wirtschaftsklima in Russland hart und wird zu weiterer Kapitalflucht führen, zu einer Zeit, in der Sanktionen und Ukraine-Krieg schwer auf der russischen Ökonomie lasten.

Putin kann dies nicht schmecken. Eine mögliche Interpretation der Situation ist, dass der von Putin stark gemachte Igor Setschin, der den Ölkonzern Rosneft kontrolliert und auch auf den Sanktionslisten steht, das Unternehmen in Baschkortistan gerne seiner Sammlung hinzufügen würde. Setschin hatte zuletzt sogar in den Märkten von Gasprom gewildert, ist also zweifellos enorm selbstbewusst. Durch die Verhaftung von Jewtuschenkow hat er bereits den möglichen Kaufpreis von Baschneft deutlich reduziert: Das Unternehmen hat nach Börsenkurs seit gestern 1 Mrd. Euro an Marktwert eingebüßt. Verliert Putin hier die Kontrolle über die von ihm geschaffene Wirtschaftsordnung? Oder ist in Putins staatskapitalistischer Wirtschaftsstrategie die nächste Stufe erreicht, bei der die großen Oligarchen ihren Teil abgeben müssen?

Jewtuschenkow hatte keine Illusionen über den Zusammenhang von Wirtschaft und Politik in Russland. 2012 kommentierte er den Fall Chodorkowski mit den Worten: "In unserer Gesellschaft muss die ökonomische Macht immer mit der politischen Macht korrespondieren. Wenn du politisch mächtig genug bist, kannst du auch ein großes Unternehmen kontrollieren. Wenn dein Unternehmen größer ist als deine politische Macht, wird es sehr schwer für dich sein, es zu halten."

Treffender hätte er auch seine eigene Verhaftung nicht kommentieren können.

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